Ein Foto und seine Folgen

Hallo Frau Schweers, es hat lange gedauert bis ich Sie und Ihre Seite gefunden habe. Ein Freund hatte mir von Ihrer Arbeit erzählt. Wir waren damals auf der Demonstration dabei als es um den Räumungsprozess des Wagendorfes ging. Damals hatte ich gerade ein Baby bekommen und trug es auf dem Arm um es auf dem Zug zu stillen. Scheinbar wurde ich damals fotografiert und das Bild wurde als Sinnbild für das friedliche Leben und die friedlichen Proteste genutzt. Sofern Sie dieses Bild besitzen, würden Sie mir das zur privaten Nutzung zur Verfügung stellen? Mein Sohn würde sich sicher darüber freuen, denn es war seine erste Demo, im Alter von 1,5 Monaten.

Meine Antwort:

Liebe Frau Goertz,

Lang lebe die Vergangenheit und niemand geht heutzutage, dank des Internets, verloren.

Da ist mir damals auf der Demo ja ein Schnappschuss gelungen! ;-). Ich hoffe, Ihr inzwischen erwachsener Sohn, hat sich zu einem kritischen, tatkräftigen, friedlichen Demonstranten entwickelt. So wichtig in der heute so angespannten kritischen Lage  im Land!

Gerne stelle ich Ihnen und Ihrem Sohn das Foto zur uneingeschränkten privaten Nutzung zur Verfügung. Leider kann ich Ihnen das Foto nur in geringerer Auflösung zukommen lassen. Es handelt sich um einen Scan vom S/W-Negativ. Die ganzen Negative und gesammelten Texte habe ich übergeben an das

Geschichtsarchiv im Kulturhaus Walle e.V. – Brodelpott, Schleswiger Str. 4, 28219 Bremen.

Ich maile Ihnen noch Scans zweier Zeitungsberichte des Weser Reports mit dem abgedruckten Foto mit. Scheinbar habe ich es den Redakteuren damals als Pressebild mitgegeben.

Mit freundlichen Grüßen

Susanne Schweers

Liebe Frau Schweers, vielen vielen Dank für das Bild und den Artikel. Mein Sohn wird am 19. Mai 30 Jahre alt. Dieses Bild ist ein ganz besonderes Geschenk. Er wird sich sicher sehr freuen. Sowohl er als auch seine Geschwister sind wunderbare Erwachsene geworden die für ihre Überzeugung einstehen. Jeder auf seine Weise. Finn, der kleine der dort gestillt wird, liebt Geschichte und engagiert sich in Archiven ehrenamtlich. Er unterstützt jene die sich nun die letzte Generation nennen. Auch Genderfragen interessieren ihn sehr. Ein überzeugter Pazifist… der zweitjüngste ist Leiter eines Kinderhorts. Er ist überzeugt, dass Männer sich mehr einbringen müssen in die Entwicklung von Kindern. Umweltschutz und vegane Ernährung sind sein Ding. Der jüngste fühlt sich, wie sein Vater zur Antifa hingezogen, auch wenn militanz nicht seiner Überzeugung entspricht. Ein Freund von mir, Helge Döhring, hatte mir vor 10 Jahren erzählt, es hätte eine Ausstellung in Bremen gegeben zum Thema Erinnerungen an den Weidedamm. Dort hatte er das Bild wohl gesehen und mir davon erzählt. Da ich damals im Ruhrgebiet gelebt habe konnte ich nicht hingehen. Dass das Bild nun doch noch seinen Weg zu uns gefunden hat ist daher um so schöner.

Vielen Dank noch einmal und liebe Grüße aus Cuxhaven,

Bianca Goertz

20 Jahre Weidedamm III – Wohngebiet

Vor 20 Jahren begann ich mit meiner ersten Dokumentation der Entstehung eines neuen Wohngebietes in Bremen – Findorff: Der Umwandlung des ältesten Bremer Kleingartengebietes ‚Flora‘ zu einem dicht bebauten neuen Wohngebiet mit 1300 Wohnungen. Heftige Proteste und Besetzung des Gebietes von schätzungsweise 450 Bremer und auswärtigen BürgerInnen und der ‚autonomen Szene‘ allgemein, begleiteten damals diese Entwicklung. Der heutige Bremer SPD – Abgeordnete Klaus Möhle begann seine politische Karriere mit dem Verein ‚Grüner Weidedamm‘ zu jener Zeit, und die GSG 9 – Einheit der Bundespolizei stand bei der Räumung des Geländes zum Einsatz bereit. Man befürchtete Krawalle wie in der Hamburger Hafenstraße 1993.

Über 10 Jahre begleitete in diesen Prozess mit meiner Kamera und hinterfragte immer wieder meine Beobachtungen und die Umwandlung vom alten Parzellengebiet zum teuren Wohngebiet. Über fünfzig Schwarzweissfilme habe ich abfotografiert, per Hand entwickelt und zahlreiche Abzüge selbst vergrößert. ‚Digitalfotografie‘ gab es für mich, als engagierte Fotografin, noch nicht!

Im April 2005 konnte ich dank des damaligen Ortsamtleiters Bremen-West, Hans-Peter Mester, des Findorffer Beirats, der Martin-Luther-Gemeinde und der Findorffer Geschichtswerkstatt einem ausführlichen Querschnitt meiner Fotos in der Findorffer Kirche an der Hemmstraße präsentieren.

Parallel zu meiner Fotoausstellung zeigte Jutta Schäfer-Böhle eine ausführliche geschichtliche Abhandlung des Gebietes, und es gab ein Begleitprogramm mit Film und Diskussion.
Weidedamm III 1

Weidedamm III 2

Weidedamm III 3Weidedamm III 4

Weidedamm III 5

Gedanken

Weidedamm III 7 Weidedamm III 8Weidedamm III 9 Weidedamm III 10

Weidedamm III 11 Weidedamm III 12

Weidedamm III 13 Weidedamm III 14 Weidedamm III 15

Ich habe durch meine Analysen während dieser zehnjährigen fotografischen Langzeit- Dokumentation sehr viel über Systeme und deren Entwicklungen gelernt und meinen soziologischen Blick auf Architektur, Stadtplanungsprozesse, gesellschaftliche (Fehl-)Entwicklungen u.ä. geschärft.

„Fotografie um zu Lernen“ ist seit jener Zeit eine wesentliche Motivation für meine fotografische Arbeit! Weitere Langzeitbeobachtungen mit der Kamera folgten in den Jahren danach oder sind noch in Arbeit.

Susanne Schweers